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Der politische Historiker

Deutsche Geschichtsschulen seien von der "Sucht, der Geschichte den Geist auszusaugen" befallen.
Die deutsche quellenmäßige Geschichtsschreibung strebe nichts als materielle Erschöpfung an.

Junges Deutschland: "Fratzen der Tagespoesie"

Eike Wolgast: Politische Geschichtsschreibung in Heidelberg - Schlosser, Gervinus, Häusser, Treitschke

Heidelberger Schule

Die Heidelberger Historiker Friedrich Christoph Schlosser, Georg Gottfried Gervinus, Ludwig Häusser und Heinrich von Treitschke

  • prägten über ihr Fachgebiet hinaus das geistige Profil der Universität wesentlich mit
  • machen Heidelberg zu einer Hochburg liberalen und nationalen Gedankenguts
  • besaßen einen starken Einfluss auf des mittlere und gebildete Bürgertum
  • verstanden ihre Tätigkeit als Auftrag zur politischen Erziehung der Öffentlichkeit
  • schrieben vor allem Geschichte jüngster Vergangenheit, bzw. Zeitgeschichte (nichtgouvernementale liberale Ausrichtung)

Friedrich Christoph Schlosser

  • einzige Richtschnur des Historikers: Wahrheit und Recht; absichtlich keine kunstvolle Darstellung
  • skeptische Haltung ggü. Geschichtstheorie/-philosophie: für die, welche "auf das Reelle sehen", habe sie keine Bedeutung
  • theoretische Voraussetzungen: die der deutschen Aufklärung allgemein, aber:
  • "Er war [...] eine durchaus untheoretische, am Praktischen und Nützlichen in der Geschichte interessierte Natur" (Wolgast)
  • historische Erkenntnis dürfe kein Selbstzweck sein: bloße Wissensvermittlung/-vermehrung sei unzureichend
  • Geschichte schreiben = urteilen
  • bewußter Verzicht auf Objektivität: nur die "subjektive Wahrheit, d.h. die Vermeidung alles dessen, was nicht den Schriftsteller durch und durch beseelt" erschien ihm erreichbar
  • Überzeugung: Politik müsse vom Ethos getragen sein
  • politische Ideale: bürgerliche Freiheit, Selbstentfaltung des Individuums in Leben und Geist, menschliche Würde
  • politisch nicht aktiv
Gervinus

Historik (1937)

Arten der Geschichtsschreibung:

  1. Annalistik
    1. Grundform aller Historiographie
    2. "endlos und formlos"
    3. "bloß verständiges Beobachten"
    4. "ohne Beihilfe kombinierender Phantasie und allgemeiner Betrachtung"
    5. göttliches Walten als jeweilige Ursache des Geschichtsverlaufs

  2. pragmatische/räsonierende G.
    1. verlangt den Denkenden Historiker
    2. Ursachen und Wirkungen werden auf menschliche Triebkräfte zurückgeführt
    3. gelangt zu eigenständigem , aber subjektiven Urteil

  3. eigentliche G.
    1. Synthese von 1. und 2.
    2. Vereinigung von Betrachtung und Beurteilung
    3. Historiker muss historische Ideen erkennen/erfassen
      durch unbefangene Beschäftigung mit dem historischen Gegenstand
    4. historische Gesetze lassen sich anhand der Idee aufzeigen
    5. Orientierung an historischen Gesetzmäßigkeiten bei Stoffauswahl und im Urteil über geschichtliche Ereignisse
      = Objektivität des Historikers

Grundprinzip der Geschichte: Entfaltung der Freiheit

Ein "regelmäßiger Fortschritt von der geistigen und bürgerlichen Freiheit der Einzelnen zu der der Mehreren und der Vielen" gilt für bestimmte Zeiträume. "Wo aber die Staaten ihren Lebenslauf ganz vollendet haben" tritt eine Rückentwicklung ein.

>>> Fortschrittsverständnis: Fortschritt als Kreisbewegung.

[HS S.142 "Cultur" (plus "Regeneration von Außen" > Napoleon)]

Der Beruf des Historikers - Carl, S.23-32.
In eingestreuten theoretischen Erläuterungen geht Gervinus immer wieder auf das Wesen der Geschichte und die Pflichten und Aufgaben eines Historikers ein.

Pragmatische Betrachtung der Geschichte (G. als Folge von Ereignissen, die in einem kausalen Zusammenhang von Ursache und Wirkung aufgefasst werden) sei nützlich und notwendig, jedoch nicht ausreichend.

Ziel des wahren Historikers: Erkennen einer weisen Ordnung im Grossen
>>> unabdingbare Prämisse der Weltvorstellung Gervinus: das reale Vorhandensein einer solchen Ordnung

Das Wirken des ordnenden Weltgeistes/der Vorsehung sei unmittelbarer menschlicher Erkenntnis verborgen, der Historiker müsse es ahnen/erraten/erforschen.

Weltgeist/Vorehung offenbart sich in historischen Ideen

zwei Aspekte des Begriffs historische Idee in der Verwendung bei Gervinus:

  1. historisches Gesetz = im Plan der Vorsehung vorgeschriebene Entwicklungslinie
    z.B. Gesetz der Freiheitssteigerung: in der Geschichte der europäischen Staaten:
    "regelmässiger Fortschritt von der geistigen und bürgerlichen Freiheit der Einzelnen zu der der Mehreren und der Vielen"

  2. Ordnungs-/Darstellungsprinzip, das der Historiker selbst setze
    Carl macht hier auf die gefährliche Nähe der "Idee" zur Tendenz aufmerksam
    Gervinus : Erkenntnis der Idee müsse aus Vertiefung in den Stoff gewonnen werden

Vorrang der Idee im Werk der Geschichtsschreibung führt zu relativer Abwertung der Tatsachen:
Die Auswahl der Tatsachen erfolge nicht mehr objektiv nach Bedeutung, sondern nach Eignung zur Veranschaulichung der Idee.

Geschichtliche Betrachtungsweisen nach Gervinus:
kombinierende Geschichtsschreibung
psychologisch erklärende Geschichtsschreibung
materielle Geschichtsschreibung
>>>> Fortschritt >>>>

Leonhard Müller
"Gervinus verehrte seinen Lehrer als einen der größten Historiker und hielt seine Universalgeschichte für " das Buch, das in einer für uns berechneten Behandlungsart neben Thukydides und Machiavell allein einen würdigen Begriff von Geschichte" beibringen konnte." (S. 64)

rationale Wissenschaftlichkeit vs. künstlerischem Gestaltungsverlangen (S. 70)

methodisches Vorgehen bei Schlosser und Gervinus:

  • Vernachlässigung der Quellenuntersuchung und -darstellung
  • "Kunst des Analogisierens"
In der Geschichte der florentinischen Geschichtsschreibung stellt Gervinus zum erstenmal seine politischen und wissenschaftlichen Grunderkenntnisse in einer eigenen Arbeit dar. (S. 126)

"Gegenstand [Machiavelli] grade sehr en vogue" (15.Nov.1833 an Manuel) (S. 126)

Achtung vor Machiavellis geistiger Leistung + starkes presönliches Verhältnis
Gervinus "erhebt Machiavell in vielen seiner Wesenszüge zum Vorbild für sich und seine Zeit"

Gangolf Hübinger
Gervinus widerspreche der herrschenden Meinung über Machiavelli entschieden
(Was war die herrschende Meinung? - Nach Elkan wird Machiavelli von allen Rezipienten des beginnenden 19. Jhdt. verteidigt.)

H. verweist auf einen "sehr kritischen" Ranke, der in der Trennung von Ethik und Politik die Wurzel des machiavellischen Übels ausmache, und auf Heinrich Leo, der Machiavelli auf den Begriff des zynischen Zweckrationalismus reduziert.

Machiavelli bei Gervinus:

  • politische Resignation an den unkontrollierten Wechsel zwischen Fürstentyrannei und Volksdemokratie
  • melancholische Verzweiflung an der nationalen Zerissenheit

verfehlte, konstruierte, bürgerlich-moralische Kritik an M. (15.Nov.1833 an Manuel):

  • Verselbstständigung der politischen Sphäre
  • Bruch zwischen dem republikanischen Machiavelli der "Discorsi" und einem despotischen des "Principe"

III.

Keine "Kritik des Einzelnen"!

"Einen Geschichtsschreiber wie Machiavelli muß man nicht mit einem Maße messen, dem er entwachsen ist. Man muß aus Machisvelli keine einzelnen Begebenheiten lernen wollen, [...] sondern [man muß] im Allgemeinen fragen, ob er entstellt oder verfälscht"

"Zirkelgang und Umlauf des Lebens"

"Diese Hoffnungen Machiavell's [auf einen Aufstieg Italiens durch Rückkehr zu alten Tugenden, ed.] berühren aber mitunter und fließen aus den tiefsten Grundsätzen seiner historischen Weisheit. In allen menschlichen Dingen sieht und beobachtet er ein ewiges Steigen und Sinken, ein Fortschreiten zum Guten und Rückgehen zum Bösen, eine Entstehung des Einen aus der Vollendung des Anderen, ein neues Leben nach der Erschlaffung, nach moralischer Gesunkenheit einen neuen Aufschwung der Tugend."

Die Auseinandersetzung mit Machiavelli führte bei Gervinus zur Ausbildung seines Berufsbildes des Historikers, das er durch Machiavelli in nahezu idealerweise verkörpert sah .
HÜBINGER verweist auf L, S. 258f. für folgende Skizzierung der Qualitäten eines - nach Gervinus - idealen Historikers :

>>> der bewunderte Machiavelli als Vorbild eines Historikers in einer Umbruchzeit

Oncken stellt fest: "[...] wie einst Machiavelli als historisch-politischer Erzieher zu den Italienern seiner Zeit gesprochen hatte, so wollte Gervinus auf die Entwicklung Deutschlands einwirken [...]" (S. 361).

? Polcar sagt, daß es stimmt, was Helbling 1969 feststellte, nämlich, Gervinus beschäftige sich weniger mit dem politschen Denker als mit dem Historiker Machiavelli.

Gervinus, S.160f. - G. zeigt die Unterschiede der Istorie gegenüber den Discorsi und dem Principe auf:

Istorie Discorsi, Principe
in größerer Ruhe geschrieben in frischer Leidenschaft geschrieben
mit gesundem Verstande und eminenten historischen Talente verfasst: erscheinen durch scharfsinnige Gegensätze allzu grell, allzu theoretisch
Erkennen des Elements der Geschichte, das sich ewig neu und wechselnd gestalltet, sich in keine Regel fesseln läßt "wenn man ihn manchmal wie in einer Art Systemmacherei sich herumtreiben sieht , [könnte man] um seinen historischen Sinn bange werden"
M. "weiß mit bewundenswerthen Tacte zwischen wissenschaftlicher Geschichte, Tagesbegebenheiten und politischem Raisonement zu untersscheiden. politisches Raisonement, historische Erfahrungssätze

Der Orginaltitel Georg Gottfried Gervinus Geschichte der Florentinischen Historiographie beschreibt die im Ausgabentitel von 1871 erwähnte "Charakteristik des Machiavell" noch genauer, wenn es

Wie charakterisiert Gervinus Machiavelli sittlich, bürgerlich, schriftstellerisch?

Wie argumentiert er ?

Wo setzt er Schwerpunkte?

Gervinus' Schrift ist für den

Aufbau:
Der Teil der Geschichte der Florentinischen Historiographie, welcher sich mit Machiavelli beschäftigt, umfasst 132 von 218 Seiten der Ausgabe von 1871. Der gesamte Text ist lediglich durch Absätze gegliedert, von denen sich 29 mit Machaivelli beschäftigen.

Absätze
(Absatznummer / Seitenzahl von - bis / grob geschätzte Textmenge ohne Fussnoten in Seiten )

  1. 87 - 95 _____ca. 8___XXXXXXXX
  2. 95 - 96 _____ca. 2___XX
  3. 96 - 97 _____ca. 1___X
  4. 97 - 106 ____ca. 7___XXXXXXX
  5. 106 - 110 ___ca. 4___XXXX
  6. 110 - 112 ___ca. 2___XX
  7. 112 - 116 ___ca. 4___XXXX
  8. 116 - 120 ___ca. 4___XXXX
  9. 120 - 122 ___ca. 1___X
  10. 122 - 125 ___ca. 3___XXX
  11. 125 - 126 ___ca. 1___X
  12. 126 - 131 ___ca. 3___XXX
  13. 131 - 132 ___ca. 1___X
  14. 132 - 138 ___ca. 5___XXXXX
  15. 139 - 141 ___ca. 1___X
  16. 141 - 143 ___ca. 2___XX
  17. 143 - 146 ___ca. 3___XXX
  18. 146 - 149 ___ca. 3___XXX
  19. 150 - 157 ___ca. 6___XXXXXX
  20. 157 - 160 ___ca. 3___XXX
  21. 160 - 163 ___ca. 2___XX
  22. 163 - 164 ___ca. 1___X
  23. 164 - 167 ___ca. 3___XXX
  24. 167 - 182 ___ca. 16__XXXXXXXXXXXXXXXX
  25. 182 - 188 ___ca. 4___XXXX
  26. 188 - 190 ___ca. 2___XX
  27. 190 - 205 ___ca. 13__XXXXXXXXXXXXX
  28. 205 - 214 ___ca. 9___XXXXXXXXX
  29. 214 - 218 ___ca. 4___XXXX

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Diverses:

[antiquarische Geschichtsschreibung: "das Abgeschmackte des Treibens der Sammler, Stoppler, Foliantenschreiber" (Schlosser bei Wolgast S. 162); sie bliebe in den Vorhöfen der Geschichte stehen]

[ Im Sommersemester 1832 las Schlosser >Neueste Literatur- und Bildungsgeschichte<! (Wolgast S.160) Eine Anregung für Gervinus?]

Literatur (Hausarbeit)

Zur Person: Georg Gottfried Gervinus

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